Welche Rolle nehmen Schadendienstleister zukünftig für die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Versicherer ein?
Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche endet nicht bei Kapitalanlagen oder interner ESG-Strategie – auch der Schadenprozess hat enormes Potenzial. Im Gespräch mit Maria Leisinger, Leiterin des Center for Sustainable Insurance (CSI), geht es um einen oft übersehenen Hebel: die Rolle der Schadendienstleister.
Warum ihre ESG-Leistung entscheidend für die Berichterstattung der Versicherer wird, welche Chancen und Risiken sich daraus ergeben und wie der neue Standard des Insurance Certification Center (ICC) Nachhaltigkeit im Schadenprozess messbar macht, erfahren Sie in diesem Interview.
Interviewpartnerin:
Maria Leisinger
Head of Center for Sustainable Insurance (CSI)
der Versicherungsforen Leipzig GmbH
www.center-for-sustainable-insurance.de
Carsten Nyhuis: Sehr geehrte Frau Leisinger, bitte stellen Sie sich kurz vor.
Maria Leisinger: Mein Name ist Maria Leisinger, M.Sc. Ich habe Betriebswirtschaftslehre an der Universität Leipzig studiert und bin als Leiterin des Center for Sustainable Insurance (CSI) bei den Versicherungsforen Leipzig GmbH tätig.
Das Center for Sustainable Insurance (CSI) ist eine Plattform, die den Austausch und die Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitsthemen in der Versicherungsbranche fördert. Wir vernetzen Stakeholder, bündeln Interessen und unterstützen Versicherungsunternehmen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. In dieser Funktion beschäftige ich mich intensiv mit der Integration von Nachhaltigkeit in die Versicherungsbranche.
Mein Ziel ist es, die Branche aktiv auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu begleiten und so einen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung zu nehmen. Besonders wichtig ist mir dabei, ein ganzheitliches Verständnis für Nachhaltigkeit zu fördern, das sowohl ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigt.
Carsten Nyhuis: Frau Leisinger, wenn wir über Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche sprechen, liegt der Fokus oft auf Kapitalanlagen oder internen ESG-Strategien. Warum ist der Schadenbereich mit seinen vielen Dienstleistern, dem hohen Anteil an den Schadenkosten sowie dem Schadenaufwand und damit der Wirkung auf das versicherungstechnische Ergebnis noch nicht im Fokus?
Maria Leisinger: Der Schadenbereich ist in der Nachhaltigkeitsdiskussion tatsächlich noch unterrepräsentiert, obwohl er einen erheblichen Anteil an den Gesamtkosten der Versicherer hat. Es sind zahlreiche externe Dienstleister an der Schadenregulierung beteiligt, die gemeinsam einen nicht unerheblichen Teil der Schadenregulierungskosten verursachen. Dennoch fokussieren sich viele Versicherer bislang auf die Kapitalanlage – das hat mehrere Gründe:
Zum einen lassen sich ESG-Kriterien dort vergleichsweise gut messen und regulieren. Der regulatorische Rahmen – etwa durch die Offenlegungsverordnung und die EU-Taxonomie – ist klarer gefasst und auch die Kundennachfrage nach nachhaltigen Anlageprodukten hat stark zugenommen.
Zum anderen waren viele Versicherer in den letzten Jahren stark mit der Umsetzung regulatorischer Anforderungen beschäftigt. Große interne Projekte – wie etwa zur CSRD – haben erhebliche Kapazitäten gebunden. Viele Unternehmen befinden sich jetzt erst in der Umsetzungsphase und erkennen zunehmend, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine Frage der Kapitalanlage oder der eigenen Geschäftstätigkeit ist, sondern auch die Dienstleistungspartner betrifft, die im Rahmen der Schadenbearbeitung direkt in den Leistungserbringungsprozess eingebunden sind.
„Der Schadenbereich ist ein wirkungsstarker Hebel für Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und wirtschaftlich.“
Carsten Nyhuis: Inwieweit werden die Versicherer durch die Schadendienstleister zur Schadenprävention, bei der Erbringung des Leistungsversprechens aus dem Produkt und in den Schadenprozessen in ihren Nachhaltigkeitszielen unterstützt?
Maria Leisinger: Schadendienstleister haben im Rahmen der Schadenregulierung einen unmittelbaren Einfluss auf die Nachhaltigkeitsziele der Versicherer – und das beginnt bereits vor dem eigentlichen Schadenfall, nämlich bei der Prävention. Technologien wie Leitungswasser-Sensoren, intelligente Unwetterwarnsysteme, die Kontrolle von Wartungsfugen oder Maßnahmen zum Einbruchschutz können helfen, Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen. Auch die Vermeidung von Schimmel oder Feuchtigkeit und die Beratung nach eingetretenen Schadenfällen sind präventive Elemente, die wertvolle Beiträge zu mehr Nachhaltigkeit leisten können.
Im eigentlichen Regulierungsprozess kommt es dann – unabhängig davon, ob ein nachhaltiges Leistungsversprechen vorliegt oder nicht – auf die Wahl der Mittel an: ressourcenschonende Reparaturmethoden, der Einsatz umweltfreundlicher Materialien und energieeffiziente Abläufe sind entscheidend. Durch all diese Maßnahmen können Schadendienstleister die ESG-Ziele der Versicherer gezielt und messbar unterstützen.
Carsten Nyhuis: Welche Bedeutung nehmen Schadendienstleistern demzufolge für die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Versicherungsunternehmen ein?
Maria Leisinger: Schadendienstleister sind integraler Bestandteil der operativen Wertschöpfung im Schadenprozess. Sie setzen nicht nur die Leistungsversprechen der Versicherer praktisch um, sondern beeinflussen durch ihre Arbeitsweise maßgeblich den ökologischen Fußabdruck eines Schadenfalls – sei es durch eingesetzte Verfahren, Materialien, Geräte, Transportwege, Entsorgung oder Energieverbrauch. Damit leisten sie einen direkten Beitrag zur ökologischen Dimension der ESG-Berichterstattung.
Auch in sozialer Hinsicht spielen sie eine zunehmend wichtige Rolle. Arbeitsbedingungen bei Subdienstleistern, regionale Beschäftigungsstrukturen, Reaktionszeiten in Krisensituationen und der Umgang mit vulnerablen Gruppen im Schadenfall sind Aspekte, die bislang nur selten systematisch erfasst, aber unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten immer relevanter werden.
Im Rahmen der CSRD sind Versicherer aufgefordert, nicht nur über ihre eigene Geschäftstätigkeit, sondern auch über wesentliche Auswirkungen im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehungen zu berichten. Ob Schadendienstleister hierbei berücksichtigt werden, hängt von der individuellen Wesentlichkeitsanalyse ab. Gerade weil der Schadenbereich für viele Versicherer jedoch ein kosten- und wirkungsstarker Kernbereich ist, spricht vieles dafür, dass Schadendienstleister hier eine bedeutsame Rolle spielen müssen – sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht.
Deshalb lohnt es sich, die Schadendienstleister frühzeitig in die Nachhaltigkeitsstrategie einzubeziehen – und ihre potenziellen Wirkungen systematisch zu erfassen. So kann ihr Beitrag zur Zielerreichung nicht nur sichtbarer, sondern auch gezielt weiterentwickelt werden.
Carsten Nyhuis: Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) hat 2021 das Ziel formuliert, ab 2025 Produkte mit nachhaltigem Leistungsversprechen einführen zu wollen.[1] Erste Versicherer entwickeln bereits entsprechende Produkte. Die Schadenabteilungen müssen sich deshalb darauf vorbereiten, ihre Schadendienstleister in zwei Segmente zu unterteilen:
- Schadendienstleister, die nachgewiesen das nachhaltige Leistungsversprechen mit entsprechenden Fähigkeiten im Rahmen der Schadenregulierung unterstützen können und
- Schadendienstleister, die diese Fähigkeit(en) nicht nachgewiesen haben
Wie sollten Versicherer diesen Segmentierungsprozess gestalten, um sicherzustellen, dass nachhaltige Anforderungen an die Dienstleistung im Rahmen der Schadenregulierung tatsächlich erfüllt werden?
Maria Leisinger: Eine klare Segmentierung der Schadendienstleister ist ein zentraler Schritt, um die Nachhaltigkeitsstrategie von Versicherern im Schadenmanagement wirkungsvoll umzusetzen. Voraussetzung dafür ist ein strukturierter und nachvollziehbarer Bewertungsrahmen, auf dessen Basis die Einteilung erfolgen kann.
Im ersten Schritt sollten Versicherer Kriterien erarbeiten, anhand derer die ESG-Leistungsfähigkeit von Dienstleistern systematisch bewertet werden kann. Dabei ist zum einen zu prüfen, ob der Dienstleister grundlegende ESG-Anforderungen erfüllt – etwa im Hinblick auf Umweltstandards, soziale Aspekte oder Governance-Strukturen.
Darüber hinaus geht es ganz konkret um die Fähigkeit, im jeweiligen Schritt der Schadenregulierung – und bei entsprechendem Leistungsversprechen – eine Dienstleistung auch nachhaltig erbringen zu können. Das bedeutet: Kann ein Sanierungsunternehmen beispielsweise schadstoffarme oder -freie Materialien einsetzen und dies transparent nachweisen? Verfügt ein Handwerksbetrieb über Prozesse zur Abfallvermeidung oder Energieeinsparung, die im Einsatz auch dokumentiert werden?
Ein transparenter und standardisierter Bewertungs- oder Zertifizierungsprozess würde hier für Klarheit sorgen – sowohl für die Versicherer als Auftraggeber als auch für die Dienstleister selbst. Er schafft Orientierung, erleichtert die Integration nachhaltiger Kriterien in die Steuerung und ermöglicht eine kontinuierliche Weiterentwicklung auf beiden Seiten.
„Die CSRD erfordert mehr als nur Eigenbetrachtung – sie verlangt Transparenz entlang der Geschäftsbeziehungen.“
Carsten Nyhuis: Welche regulatorischen Rahmenbedingungen müssen Nachhaltigkeitsbeauftragte, Schadenverantwortliche und Dienstleistungsmanager besonders beachten?
Maria Leisinger: Es gibt mehrere zentrale regulatorische Vorgaben, die derzeit für die Versicherungswirtschaft an Bedeutung gewinnen – und künftig eine noch größere Rolle spielen werden:
- EU-Taxonomie-Verordnung (Verordnung (EU) 2020/852):
Sie legt fest, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als ökologisch nachhaltig gelten, und definiert dafür verbindliche technische Bewertungskriterien. Auch Dienstleistungen im Schadenprozess könnten in Zukunft unter diese Bewertung fallen – etwa im Kontext von Gebäudesanierung oder Ressourceneffizienz. - Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD):
Diese Richtlinie erweitert die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung erheblich. Unternehmen müssen nicht nur über ihre eigene ESG-Leistung, sondern auch über wesentliche Auswirkungen entlang ihrer Geschäftsbeziehungen berichten – also auch über Schadendienstleister, sofern diese im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse als relevant eingestuft werden.
In diesem Zusammenhang ist auch die aktuelle Diskussion um die sogenannte Omnibus-Verordnung von Bedeutung: Die EU-Kommission plant, bestimmte Schwellenwerte sowie Umsetzungszeiträume der CSRD in Bezug auf KMU und nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen anzupassen. Das führt in vielen Unternehmen zu Verunsicherung, ob und wie bereits begonnene Projekte fortgeführt werden sollten. Innerhalb unseres Netzwerks – insbesondere im Rahmen eines Ad-hoc-Austauschs im Center for Sustainable Insurance – haben wir dazu ein aktuelles Stimmungsbild eingeholt: Von 28 Teilnehmenden gaben 16 an, ihren CSRD-Prozess wie geplant fortzusetzen. Das zeigt: Viele Unternehmen setzen weiterhin auf Verlässlichkeit und frühzeitige Vorbereitung – auch unabhängig von möglichen Anpassungen der regulatorischen Fristen.Diese Richtlinie erweitert die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung erheblich. Unternehmen müssen nicht nur über ihre eigene ESG-Leistung, sondern auch über wesentliche Auswirkungen entlang ihrer Geschäftsbeziehungen berichten – also auch über Schadendienstleister, sofern diese im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse als relevant eingestuft werden. - Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR):
Die SFDR betrifft insbesondere Versicherer mit Finanzprodukten. Dennoch setzt sie Maßstäbe für die Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken – was auch andere Unternehmensbereiche beeinflussen kann. - Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG):
Das derzeit gültige deutsche Gesetz verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten. Nach dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD ist jedoch vorgesehen, das LkSG abzuschaffen und durch ein neues Gesetz über internationale Unternehmensverantwortung zu ersetzen, das auf eine möglichst geringe Bürokratie und einen praktikablen Vollzug abzielen soll. Bis dahin bleibt die Verantwortung bestehen, Nachhaltigkeit in der Zusammenarbeit mit Dienstleistern strukturiert nachzuweisen – gerade im Hinblick auf die europäische Gesetzgebung. - EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD):
Diese geplante EU-Richtlinie wird die Sorgfaltspflichten nochmals erweitern und stärker in der Unternehmensführung verankern. Auch Versicherer werden dann systematischer in die Pflicht genommen, ESG-Risiken und Auswirkungen in ihrer Geschäftspraxis zu berücksichtigen – inklusive der Partnerschaften im Schadenprozess.
Für Nachhaltigkeitsbeauftragte entsteht daraus die klare Aufgabe, die ESG-Konformität entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses zu dokumentieren – vom Vertrieb des Versicherungsprodukts bis hin zur Einlösung des Leistungsversprechens im Schadenfall. Wenn ein Schadendienstleister nachweislich umweltfreundliche Materialien verwendet oder energieeffizient arbeitet, dann kann – und sollte – dies Teil der Nachhaltigkeitsberichterstattung sein. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Informationen strukturiert erhoben, dokumentiert und verlässlich validiert werden können.
„Schadendienstleister sind keine verlängerte Werkbank – sie sind strategische Partner für nachhaltige Wertschöpfung.“
Carsten Nyhuis: Welche konkreten Möglichkeiten gibt es, sich als Schadendienstleister nachhaltig aufzustellen?
Maria Leisinger: Es gibt eine Vielzahl praxisnaher Maßnahmen, mit denen Schadendienstleister zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie von Versicherern beitragen können. Wichtig ist dabei, sowohl ökologische als auch soziale Aspekte mitzudenken. Hier einige Ansätze, die sich bereits bewährt haben:
- Reparatur statt Ersatz: Die Verlängerung von Produktlebenszyklen durch Reparatur statt Neuanschaffung spart nicht nur Kosten, sondern reduziert auch CO₂-Emissionen – etwa bei Möbeln, Fenstern oder Elektrogeräten. Auch im Kfz-Bereich wird das Prinzip „Repair First“ zunehmend verankert.
- Nachhaltige Materialwahl: Der Einsatz von recycelten, wiederverwertbaren oder ressourcenschonenden Materialien verringert den ökologischen Fußabdruck deutlich. Dabei geht es auch um die Frage: Wie werden Materialien beschafft, transportiert und verarbeitet?
- Energieeffizienz in den Prozessen: Neue Technologien – etwa bei der Trocknung, Lackierung oder Sanierung – ermöglichen deutliche Energieeinsparungen. Hier lohnt sich der Blick auf innovative Anbieter, die bereits klimafreundlichere Verfahren einsetzen.
- Transparente und faire Lieferketten: Versicherer sollten bevorzugt mit Dienstleistern zusammenarbeiten, die selbst ESG-Standards einhalten und diese auch in ihren eigenen Lieferbeziehungen weitergeben – etwa durch Zertifizierungen, Audits oder Nachhaltigkeitsberichte.
- Soziale Verantwortung stärken: Neben den ökologischen Aspekten ist auch die soziale Dimension entscheidend. Dazu gehören faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen, Aus- und Weiterbildung sowie die Integration regionaler Betriebe. All das stärkt nicht nur die Nachhaltigkeitsleistung, sondern auch die Resilienz des Dienstleisternetzwerks.
Nachhaltigkeit im Schadenprozess bedeutet also nicht, alles auf einmal zu verändern – aber schrittweise systematisch bessere Entscheidungen zu treffen. Versicherer können diesen Weg aktiv begleiten und durch transparente Kriterien, gezielte Partnerschaften und positive Anreize mitgestalten.
„Wer die Nachhaltigkeitsleistung seiner Partner nicht kennt, riskiert regulatorische Lücken, operative Brüche und Reputationsschäden.“
Carsten Nyhuis: Welche Risiken entstehen, wenn Versicherer die Nachhaltigkeitsleistung ihrer Schadendienstleister nicht dokumentieren?
Maria Leisinger: Hier sehe ich insbesondere vier wesentliche Risikobereiche, die eng miteinander verknüpft sind:
- Regulatorische Risiken: Ohne eine ESG-konforme Dokumentation riskieren Versicherer, gegen neue Berichtspflichten – insbesondere im Rahmen der CSRD – zu verstoßen. Auch wenn Schadendienstleister nicht pauschal berichtspflichtig sind, kann ihre Tätigkeit im Schadenprozess als wesentlich eingestuft werden. Wird dies nicht korrekt erfasst, drohen nicht nur formale Beanstandungen, sondern auch Vertrauensverluste gegenüber Aufsichtsbehörden und Stakeholdern.
- Operationelle Risiken: Versicherer, die die Nachhaltigkeitsleistung ihrer Dienstleister nicht differenziert bewerten können, laufen Gefahr, mittelfristig ihre eigenen Leistungsversprechen nicht mehr verlässlich einlösen zu können – insbesondere bei Produkten mit nachhaltigem Leistungsversprechen. Zudem verlieren sie die Möglichkeit, gezielt auf einen wachsenden Kundenbedarf nach nachhaltiger Schadenregulierung zu reagieren.
- Reputationsrisiken: Kund:innen, Investor:innen und die Öffentlichkeit erwarten heute Transparenz – auch über die Partner, mit denen ein Unternehmen zusammenarbeitet. Fehlende Berichterstattung über ökologische oder soziale Standards bei Schadendienstleistern kann zu einem Glaubwürdigkeitsverlust führen und die Marke schädigen – insbesondere, wenn Nachhaltigkeit öffentlichkeitswirksam kommuniziert wird.
- Wettbewerbsnachteile: Nachhaltigkeit entwickelt sich zunehmend zum Differenzierungsmerkmal im Versicherungsmarkt. Wer ESG-Aspekte im Schadenmanagement systematisch berücksichtigt, kann dies gezielt im Wettbewerb nutzen. Umgekehrt riskieren Versicherer, die diesen Bereich vernachlässigen, Marktanteile an agilere oder innovativere Anbieter zu verlieren.
„Nachhaltigkeit wird messbar, wenn wir gemeinsam Standards etablieren, die Wirkung zeigen.“
Carsten Nyhuis: Das Insurance Certification Center (ICC) hat einen Standard entwickelt, um Nachhaltigkeit messbar zu machen. Warum sollten Schadendienstleister und Versicherer an der Nachhaltigkeitszertifizierung des ICC teilnehmen?
Maria Leisinger: Der ICC-Standard schafft eine objektive Grundlage, um Nachhaltigkeit im Schadenprozess messbar, vergleichbar und steuerbar zu machen. Schadendienstleister, die nach diesem Standard zertifiziert sind, können ihre Nachhaltigkeitskompetenz und den erreichten Reifegrad transparent nachweisen – und sich damit als bevorzugte Partner im Versicherungsmarkt positionieren.
Gleichzeitig bietet die Zertifizierung auch den Versicherern große Vorteile: Sie erhalten eine standardisierte, geprüfte Datenbasis, die direkt in die Nachhaltigkeitsberichterstattung einfließen kann. Damit werden regulatorische Anforderungen – etwa im Rahmen der CSRD oder der EU-Taxonomie – deutlich leichter erfüllbar. Die strukturierte Bereitstellung der relevanten Informationen erfolgt über eine zentrale IT-Plattform: Die Dienstleister erfassen ihre Daten inklusive Nachweisen, das ICC prüft sie und stellt sie anschließend den Versicherern digital zur Verfügung.
Vorteile für Versicherungsunternehmen:
- Reduzierung operationeller und regulatorischer Risiken: Die systematische Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung wird planbar und revisionssicher.
- Einsparung von Aufwand: Individuelle Abfragen bei Dienstleistern entfallen weitgehend, ebenso wie aufwendige Nachbearbeitungen.
- Entlastung der Fachabteilungen: Insbesondere Schaden und Nachhaltigkeit profitieren von einer externen, geprüften Datengrundlage.
- Eigenständige Steuerung: Die Schadenabteilungen können autark nachhaltige Kriterien in ihre Prozesse integrieren und aktiv auf die Entwicklung von Produkten mit nachhaltigem Leistungsversprechen hinarbeiten.
- Zukunftssicherheit im Rückversicherungsmarkt: Nachhaltiges Schadenmanagement kann künftig Einfluss auf Rückversicherungsbedingungen und -preise haben – die Zertifizierung schafft hier eine belastbare Ausgangsbasis.
Vorteile für Schadendienstleister:
- Weniger Einzelabfragen: Die Nutzung der ICC-Daten ersetzt oder reduziert individuelle ESG-Nachfragen der Versicherer – das spart Zeit und Aufwand.
- Zugang zu nachhaltigen Produkten: Die Zertifizierung qualifiziert Dienstleister dazu, auch Schäden zu bearbeiten, bei denen ein nachhaltiges Leistungsversprechen Teil des Versicherungsvertrags ist.
- Stärkung der Kundenbeziehung: Durch die dokumentierte Nachhaltigkeitsleistung vertieft sich die Partnerschaft zwischen Dienstleister und Versicherer – unabhängig davon, ob das Produkt selbst als nachhaltig gelabelt ist.
Grundsätzlich ist der ICC-Standard so angelegt, dass er sich zum Marktstandard für Nachhaltigkeit im Schadenprozess entwickeln kann. Er wird gemeinsam mit Experten aus der Branche kontinuierlich weiterentwickelt und auf neue regulatorische Anforderungen ausgerichtet. Für Versicherer wie Dienstleister ist die Zertifizierung damit nicht nur ein Instrument der Transparenz – sondern ein konkreter Hebel zur aktiven Gestaltung nachhaltiger Schadenprozesse.
„Nachhaltigkeit ist keine Pflichtübung, sondern ein echter Hebel für Zukunftsfähigkeit.“
Carsten Nyhuis: Frau Leisinger, was wäre Ihr wichtigster Rat an Nachhaltigkeitsbeauftragte und Dienstleistungsmanager?
Maria Leisinger: Nachhaltigkeit ist keine isolierte Zusatzaufgabe – sie ist eine echte Chance zur Transformation. Gerade im Schadenmanagement zeigt sich, wie viel Potenzial in der Zusammenarbeit mit Dienstleistern steckt: ökologisch, sozial und ökonomisch. Deshalb sollten Schadendienstleister nicht nur als Erfüllungsgehilfen, sondern als strategische Partner verstanden und konsequent in die ESG-Strategien eingebunden werden.
Transparente Kriterien, Zertifizierungen wie der ICC-Standard und eine enge, vertrauensvolle Kooperation helfen dabei, Nachhaltigkeitsziele nicht nur zu dokumentieren, sondern wirksam umzusetzen. So können Versicherer nicht nur regulatorische Anforderungen erfüllen, sondern auch echten Mehrwert schaffen – für ihr Unternehmen, ihre Kund:innen, ihre Mitarbeitenden und die Umwelt.
Carsten Nyhuis: Liebe Frau Leisinger, vielen Dank für die spannenden Einblicke und viel Erfolg mit unserer gemeinsamen Initiative des Insurance Certification Centers.
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Quellenangaben: [1] https://www.branchen-initiative.de/wp-content/uploads/2021/08/GDV_Nachhaltigkeit_20210729_BINL_website.pdf – Seite 6
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