Unser Interviewpartner heute: Pierre Dubosq, Gründer und Gesellschafter der tech11 GmbH, Würzburg

Die Modernisierung der Kernversicherungssysteme war in der Vergangenheit und ist auch aktuell und zukünftig eines der Themen mit großem Handlungsbedarf. In Zeiten der vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung ist das ein wesentlicher Baustein. Im Interview mit Pierre Dubosq von der tech11 GmbH beantwortet im Interview Fragen zu diesen Themen, den Herausforderungen bei Umsetzungen und Lösungen, die auch kleinen und mittelständischen Versicherern Schnelligkeit im Anwendungsbereich bieten sollen.

 

Carsten Nyhuis: Sehr geehrter Herr Dubosq, bitte stellen Sie sich kurz vor.

Pierre Dubosq: Mein Name ist Pierre Dubosq. Ich habe Anfang 2018 die tech11 zusammen mit Matthias Reining gegründet und bin bei tech11 als Geschäftsführer für die Ressorts Vertrieb, Marketing, Finanzen und Legal verantwortlich.

 

Carsten Nyhuis: Was ist das Geschäftsmodell von tech11 und wo liegt die spezifische Expertise von tech11?

Pierre Dubosq: tech11 ist Anbieter einer digitalen Core Insurance Platform im Bereich Kompositversicherung (Sach, Haft, Unfall und Kraftfahrt). Wir unterstützen Einzel- und Bündel-Produkte für das private und gewerbliche Versicherungsgeschäft im Bereich SHUK und decken den vollständigen Policy Management Lebenszyklus ab.

 

Carsten Nyhuis: Warum haben Sie sich gerade die Kompositversicherung ausgesucht. Sehen Sie hier besonderen Handlungsbedarf?

Pierre Dubosq: Definitiv. Auf Kundenseite besteht gerade in der Kompositversicherung ein akuter Handlungsbedarf bei der Modernisierung der Kernversicherungssysteme. Die Mehrheit der Versicherer arbeitet bekanntermaßen mit Systemen, die 20 Jahre oder sogar deutlich älter sind. Auf der anderen Seite steht die Versicherungswirtschaft vor den vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung. Und es ist ja nicht so, als ob die Versicherer sich dieser Thematik nicht annehmen würden. Im Gegenteil. Die digitale Agenda der Versicherer ist voll.

Problematisch ist allerdings, dass die Kernversicherungssysteme bei der Erfüllung dieser Agenda eine maßgebliche Rolle spielen, bspw. wenn es darum geht schnell, neue innovative Produkte in Produktion zu bringen oder neue Vertriebspartner anzubinden. Hinzu kommen die mangelnde Erweiter- und Wartbarkeit der bestehenden Altsysteme sowie die fehlende Modularisierung, um den heutigen prozessualen Erwartungen von Kunden gerecht zu werden. In diesen Fällen wird die Qualität der Kernversicherungssysteme zu einem entscheidenden Faktor in puncto Wettbewerbsfähigkeit.

 

Carsten Nyhuis: Was ist das Besondere an Ihren Lösungen?

Pierre Dubosq: Wir haben die tech11 Insurance Platform vor zwei Jahren auf der grünen Wiese gebaut, ohne Altlasten und ohne Sponsor. Aber unter Verwendung der aktuellsten technologischen und fachlichen Standards. Und davon profitieren unsere Kunden unmittelbar. Unser Technologie-Stack im Rahmen einer Microservices-Architektur reduziert die Integrationsaufwände und die Art und Weise der Produkt- und Prozessanpassungen reduziert den Aufwand im Customizing. Wir machen das konfigurierbar, was konfigurierbar sein sollte.

Bei kleinen und mittelständischen Versicherern ist unsere Plattform das zentrale Vehikel für eine echte digitale Transformation. Weg vom Legacy-System, keine Lebenserhaltung oder Reaktivierung von Cobol-Entwicklern mehr und Auflösung von Kopfmonopolen. Unsere Lösung ist technologisch zukunftsfähig, deckt sämtliche funktionalen Anforderungen ab und bleibt darüber hinaus bezahlbar. Was für die Allermeisten der bestehenden Anbieter nicht gilt.

Bei großen Versicherern hingegen liegt der Fokus eher auf dem Thema Integrationsanforderungen oder internationale Skalierbarkeit für neue Geschäftsmodelle. Beides können wir bedienen.

 

Carsten Nyhuis: Welche funktionalen Anforderungen decken Sie auf Modulebene Stand heute ab?

Pierre Dubosq: Wir decken sämtliche relevanten Komponenten eines Kernversicherungssystems ab. Dazu gehören ein Bestands- und Schadensystem, eine zentrale Produkt- und Tarifierungsmaschine sowie notwendige Umsysteme wie bspw. Partner, Provision oder Accounting. Zur Orchestrierung der einzelnen Services setzen wir auf eine BPM (Business Process Management) Engine. Hierzu nutzen wir in unserer Referenzimplementierung die Open-Source-Lösung des Anbieters Camunda.

Die Leistungsfähigkeit der Kernversicherungssysteme bestimmt maßgeblich die Performance und Zukunftsfähigkeit eines jeden Versicherers.

Carsten Nyhuis: Die Erneuerung von Anwendungslandschaften bei Versicherern ist komplex, Umsysteme und Bestandssysteme müssen an die Kernanwendungen angebunden werden. Was machen sie anders, als die etablierten Anbieter am Markt?

Pierre Dubosq: Wir machen das gar nicht so sehr anders, als die etablierten Anbieter am Markt. Die Integration bestehender, zentraler Kundenapplikationen, die wiederverwendet werden sollen und dazu integriert werden müssen, ist für jeden Anbieter und auch für unsere Kunden eine wesentliche Herausforderung. Ich spreche hier also beispielsweise von der Integration eines zentralen Partner- oder In- / Exkasso-Systems.

Wir unterscheiden uns jedoch wie gesagt maßgeblich hinsichtlich des verwendeten Technologie-Stacks sowie unserer zentralen Customizing-Komponente. Technisch bedeutet das, dass jeder Service der tech11 Insurance Platform komfortabel über REST-APIs (moderne Webservices Schnittstellentechnologie) aufrufbar ist. Natürlich sind wir aber auch in der Lage jede vorhandene Technologie auf Kundenseite zu integrieren.

Fachlich verfolgen wir einen prozessorientierten Ansatz. Ganz grundsätzlich gilt, dass es keine Datenänderung innerhalb unseres Systems gibt ohne Prozess. Wir liefern dazu Standardprozesse, also Geschäftsvorfälle auf Basis von BMPN 2.0 (Notationsstandard für Prozessdarstellungen). Darüber steuern wir sowohl die Integration von Kundensystemen als auch die Individualisierung von Kundenprozessen.

Carsten Nyhuis: Was bedeutet das für Ihre Kunden?

Pierre Dubosq: Für unsere Kunden hat das mehrere relevante Auswirkungen:

  1. Die Integrationsaufwände sind in der Regel deutlich niedriger und somit kostengünstiger.
  2. Die von tech11 verwendeten Methoden und Tools schaffen Standardisierung, welche über die eigentliche Technologie hinausgeht.
  3. Die Architektur ist flexibel, leicht erweiterbar und zukunftsfähig.

Also unterscheiden wir uns so gesehen doch maßgeblich von den gängigen Anbietern am Markt.

 

Carsten Nyhuis: Die zügig voranschreitende Digitalisierung verlangt von Versicherern Flexibilität in den Produkt-, Bestands- und Schadensystemen. Die aktuelle Systemwelt hat dahingehend doch viele Einschränkungen und Versicherer können daher nicht schnell agieren. Abhängigkeiten zu Releasezyklen sind gegeben und die Tests auf Grund der bedeutenden Wechselwirkung der Systeme sind aufwändig. Wie gehen Sie damit um?

Pierre Dubosq: Das ist richtig und deckt sich 1:1 mit unseren Beobachtungen. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass diese Herausforderungen nur teilweise auf die jeweiligen Kernversicherungssysteme zurückzuführen sind. Unsere Erfahrung ist vielmehr, dass die fehlende Flexibilität der Versicherer und die damit verbundene Trägheit, den regulatorischen Anforderungen aber auch veralteten Organisationsstrukturen und einem immer noch vorherrschendem Silodenken geschuldet ist.

Große Versicherer haben es da häufig leichter und können es sich erlauben einfach eine neue digitale Gesellschaft auf der grünen Wiese zu gründen und diese mit neuen Köpfen, neuer Technologie und modernen Organisationsstrukturen auszustatten. Wobei meines Erachtens strategisch häufig nebulös bleibt, wie diese neuen Gesellschaften dann zukünftig mit der bestehenden (Mutter-)Gesellschaft wieder zusammengeführt werden sollen.

Nichts desto trotz hilft Versicherern eine moderne Plattform wie die unsere, zumindest funktionale sowie technische Anforderungen schnell umsetzen zu können. Die Konfiguration von Versicherungsprodukten oder die Anbindung von Vertriebskanälen kann innerhalb von Tagen bewerkstelligt werden, neue Release können, wenn nötig, täglich eingespielt werden – bloß die von Ihnen angesprochenen Wechselwirkungen können auch wir nur bedingt beeinflussen.

 

Carsten Nyhuis: Anforderungen an Systeme kommen in der Regel aus den Fachbereichen. Agiles Vorgehen ist bei jungen IT-Anbietern mittlerweile die Regel. Wie passt die „alte Welt“ mit der neuen Vorgehensweise zusammen? Wie unterstützen Sie die Versicherer bei den Anforderungen?

Pierre Dubosq: Grundsätzlich arbeiten wir bei tech11 agil. Dies betrifft insbesondere die unterschiedlichen internen Teams der Plattformentwicklung. Das gilt aber auch für aktuelle Umsetzungsprojekte bei unseren Kunden. Diese werden ebenfalls agil durchgeführt, jedoch gibt es immer wieder Abhängigkeiten zu Unternehmensbereichen, die nicht direkt in das Projekt involviert sind, aber in diversen Projektphasen miteinbezogen werden müssen. Sei es bei der Detaillierung von fachlichen Anforderungen oder bei technischen Integrationsaspekten.

Unsere Erfahrung ist, dass Versicherer Transformationsprojekte mit tech11 auch dazu nutzen, erste oder weiterführende agile Erfahrungen zu sammeln und zu analysieren inwieweit ihre Organisation als Ganzes von diesen Erfahrungen profitieren kann. Häufig hängt dies von der jeweiligen Kundengröße und den involvierten Mitarbeitern auf Kundenseite ab.

 

Carsten Nyhuis: In Ihrem Lösungsportfolie sprechen Sie von einem digitalen Speedboat. Was ist das und welche Vorteile haben Versicherer davon?

Pierre Dubosq: Das „Digital Speedboat“ ist ein Anwendungsbereich unserer Plattform. Kleine und mittelständische Versicherer verfolgen wie zuvor ausgeführt mehrheitlich den Ansatz die bestehenden Kernversicherungssysteme abzulösen. Hierbei geht es nicht um Schnelligkeit, bzw. Speed. Hier geht es primär um Zukunftsfähigkeit, behutsames Management eines temporären Parallelbetriebs und eine kluge Migrationsstrategie. Und all das vor dem Hintergrund eines häufig engen Budgetrahmens.

Um Speed hingegen geht es vorwiegend großen Versicherern, aber auch Neugründungen, und damit meine ich sowohl digitale Versicherer als auch Assekuradeure. Und an diese richtet sich unser Angebot eines digitalen Speedboats.

Die Anforderung der vorgenannten Zielgruppen ist dabei sehr einfach: Möglichst schnell, neue innovative Versicherungsprodukte auf den Markt zu bringen, bzw. schnell neue Vertriebspartner und -kanäle anbinden. Dabei geht es zunächst häufig auch nur um das Antesten neuer Produkte oder neuer Märkte, aber schlussendlich immer darum Neugeschäft zu produzieren. Möglichst dunkel, möglichst digital und dabei sehr kundenorientiert.

Da wir mit unserer Plattform die fachlichen Anforderungen dazu vollständig abdecken und unsere Plattform zudem Mandanten-, Mehrwährungs- und Mehrsprachfähig ist, sind wir aus meiner Sicht das bestmöglichste Vehikel für diesen am Markt stetig steigenden Bedarf.

 

Mit dem digitalen Speedboat können Versicherer innerhalb weniger Wochen mit neuen Produkten oder Partnern in Produktion gehen.

 Carsten Nyhuis: Wie lange benötigen Sie, um eine tragfähige Lösung für einen Versicherer zu implementieren?

Pierre Dubosq: Das hängt vom Anwendungsfall ab. Das zuvor genannte digitale Speedboat erlaubt es Versicherern innerhalb weniger Wochen mit neuen Produkten oder Partnern in Produktion zu gehen.

Wenn es jedoch um die Ablösung eines Altsystems geht, ist Schnelligkeit unserer Erfahrung nach wie gesagt kein relevanter Entscheidungsfaktor. Vielmehr stellt sich die Frage nach geeigneten Ressourcen auf Kunden- und Anbieterseite.

Es gibt sicherlich genügend Beispiele, bei denen eine mangelhafte Implementierung zu beobachten ist. Dazu zählt das Beschäftigen von Integrationspartnern oder weiterer Subunternehmer der jeweiligen Integrationspartner, so dass Qualität und Kosten sich rasant von den ursprünglichen Planungen entfernen.

Auch auf Kundenseite müssen Mitarbeiter für solche Implementierungsprojekte erst einmal freigestellt und mitunter auch geschult werden. Da treffen häufig methodisch gut ausgebildete Consultants auf Mitarbeiter aus Versicherungsunternehmen, die zwar fachlich fit sind, jedoch keine Erfahrung bei der Beschreibung von Anforderungen in Form von bspw. User Stories oder bei der Abwicklung agiler IT-Projekte haben.

Kurzum: Das beste Softwareprodukt ist nichts wert, ohne die Menschen, die es gemeinsam einführen.

 

Carsten Nyhuis: Können Sie ein Praxisbeispiel für eine laufende Ablösung eines Altsystems bei einem Kunden nennen?

Pierre Dubosq: Natürlich. Anfang 2019 hat sich die GVO Versicherung (VVaG) aus Oldenburg entschieden, ihr Host-basiertes Bestands- und Schadensystem vollständig durch die tech11 Insurance Platform zu ersetzen. Unsere Plattform wird zukünftig das gesamte Privat- und Firmenkundengeschäft sämtlicher Sachversicherungssparten der GVO abbilden. Zur Umsetzung dieses Projekts haben wir ein kleines, schlagkräftiges Team aus GVO und tech11 Mitarbeitern gebildet, welches sukzessive die fachlichen und technischen Anforderungen partnerschaftlich umsetzt. Gleichzeitig findet während der Projektphase der notwendige Knowhow-Transfer statt. Dem Vorstand des Kunden ist es hierbei sehr wichtig, dass das laufende Geschäft nicht beeinträchtigt wird und das ein temporärer Parallelbetrieb zweier Systemwelten behutsam gemanagt wird.

 

Carsten Nyhuis: Die Abhängigkeit von Versicherern zum externen Dienstleister ist immer ein großes Thema. Produktkonfiguration, Veränderung von Schnittstellen, Anbindung an Plattformen können oft nur mit externer Hilfe bewältigt werden. Schnelle Reaktion und Anbindung ist für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit allerdings ein großer Wert. Wie sehen Sie das Thema Abhängigkeit und wie lösen Sie diesen Zielkonflikt?

Pierre Dubosq: Ich sehe hier keinen Zielkonflikt. Als Anbieter von Standardsoftware sieht tech11 es vielmehr als ihre Aufgabe, ihre Kunden in die Lage zu versetzen, genau diesen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Und das erreichen wir u.a. dadurch, dass wir bei tech11 konsequent auf Technologie- und Industriestandards setzen.

Bei anderen Anbietern müssen bspw. teilweise proprietäre Programmiersprachen erlernt werden. Damit ist eine hohe Anbieter-Abhängigkeit des Kunden natürlich vorprogrammiert. Wir erläutern unseren Kunden bereits im Presales, also noch vor Vertragsabschluss die Technologien, Tools und Standards die wir nutzen und unterstützen unsere Kunden im Projektverlauf, diese Skills entsprechend aufzubauen.

Nach der Inbetriebnahme der tech11 Insurance Platform kann der Kunde dann grundsätzlich unabhängig von uns agieren und nutzt nur noch die regelmäßigen Release-Updates der Plattform, um vom wachsenden Standard zu profitieren. Natürlich stehen aber auch wir unseren Kunden bei Bedarf langfristig und partnerschaftlich zur Verfügung.

 

Carsten Nyhuis: Lieber Herr Dubosq, vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Zukunft der Anwendungslandschaften der Versicherer und viel Erfolg im mit Ihren Lösungen.

 

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