Der Messekongress Schadenmanagement & Assistance versteht sich als Leitmesse der Assekuranz. Auch in diesem Jahr waren mehr als 1.300 Teilnehmer aus Versicherungsunternehmen, von Schadendienstleistern, Softwarehäusern, Unternehmensberatungen und weiteren Branchen vertreten.

Für hnw consulting und mich ist der Messekongress seit vielen Jahren eine der wenigen “Pflichtveranstaltungen“, auf der es neben interessanten Vorträgen, innovativen Weiterentwicklungen der Schadendienstleister und einem immer attraktiven Abendprogramm vor allem um die Option geht, sich in relativ kurzer Zeit konzentriert mit vielen Marktteilnehmern auszutauschen.

In diesem Jahr war das Programm in sechs Kategorien aufgeteilt.

Aufgrund der Breite an Vortragsthemen und der einzelnen Relevanz für unsere Beratungsmandate habe ich mich nicht für Vorträge zu Cyber, Recht und Personenschadenmanagement entschieden. Ich besuchte daher Vorträge in den Kategorien Digitalisierung & Prozesse, Mobilität, Sachversicherung, Künstliche Intelligenz und Schadenstrategie.

Auf diese Themen möchte ich sowohl mit Bezug auf einzelne Vorträge als auch in Form einer aktuellen Stellungnahme seitens hnw consulting im Sinne des Leitmotives „versicherung-weiterdenken“ mit diesem Beitrag eingehen.

Die Keynote des 1. Tages hielt Ulrich Rieger, Chief Insurance Officer P&C der Generali Deutschland AG. Herr Rieger berichtete über vielfältige Initiativen im Generali-Konzern. Ein großer Teil hiervon zielt auf Produktivität, Schadenaufwand und Servicequalität wie u.a. die proaktive Telefonie im SHK-Schaden zur Steigerung der Servicequalität, innovative Prozesse wie Video-Schaden-Bearbeitung, Einsatz von Hagelscannern, Tracking-Apps und Erhöhung der Sofortregulierung oder auch robot-process-automation zur intelligenten Schadenanlage.

Ein weiteres Bündel an Innovationen im Generali-Konzern bezieht sich auf neue Produktkonzepte. Ein „Lug Loc Locator“ hilft Gepäckstücke jederzeit lokalisieren zu können. Eine „Digital roadside assistance“ bietet Transparenz über die Position des Abschleppunternehmens und eine sog. IT-Assistance bietet vielfältige Unterstützung u.a. in Fragen der Nutzung von Desktops und mobilen Endgeräten oder Druckern

Die Initiativen sind beeindruckend und zeigen auf, wie breit sich das Spektrum an Optionen darstellt. Gegenwärtig scheinen allerdings noch mehrere Apps auf Kundenseite nötig zu sein, um alle Optionen nutzen zu können.

 

Digitalisierung & Prozesse

Die intelligente Vernetzung zwischen Versicherer, internen/externen Sachverständigen und Regulierern sowie weiteren Schadendienstleistern bildete den Schwerpunkt in dieser Kategorie. Allianz, AXA, HDI und Nürnberger Versicherung stellten zusammen mit Dienstleistern und Softwareanbietern ihre Konzepte und Lösungen vor.

Tatsächlich eine der wesentlichen Disziplinen zur Stärkung der Produktivität und zur aktiven Steuerung der Schadendurchschnitte. Die Nutzung innovativer Technologien zur kompetenten Schadenbewertung, strukturierten Darstellung und automatisierten Verarbeitung zwischen allen Beteiligten ist in der Branche bereits zum Standard erwachsen. Die Marktteilnehmer können nun hier die „Früchte“ ernten.

Gleichwohl heißt es, darauf zu achten, dass keine strategischen Abhängigkeiten entstehen und die fach- und technologiegerechte Kompetenz zur Dienstleistung auch auf Seiten des Versicherers vorhanden sein muss.

In der innovativen Kundeninteraktion zur Schadenregulierung stehen wir dagegen noch ganz am Anfang.

Portale und Apps, die keiner nutzt, können nicht die Lösung sein! Die digitale Interaktion mit oder ohne Vertriebspartner wird für den Schadenfall und zu erweiterten Mehrwert-Services zur Königsdisziplin, in der sich die Kundenbindung und –beziehung beweisen wird.

Hier gilt es aus den Ideen konkrete Anwendungsfälle zu finden und in Piloten zu erproben.

 

Mobilität

Die Kommunikation mit dem vernetzten Fahrzeug stellt sich für die Versicherer als existenzieller Erfolgsfaktor dar. GDV und VDA haben hierzu nach vielen Monaten intensiver Arbeit auf allen politischen Ebenen nun eine zukunftsgerichtete, den Beteiligten und ihren Interessen folgende Vereinbarung getroffen.

Es wird spannend sein zu verfolgen, inwieweit die Vereinbarungen sich in konkreten Ausprägungen von Geschäftsmodellvarianten wiederfinden und die Vereinbarung Stabilität erlangen wird

A.T.U. gestaltet derzeit mit seinem Mobility Hub eine unabhängige Mobilitätsallianz, in der der Kunde im Sinne von plug&play die Services im Mobility-Hub aus- oder abwählt.

Mit mehreren Use Cases im B2B-Kontext zeigte A.T.U auf, dass für Flottenbetreiber, Versicherungen, Werkstätten und weitere (Schaden-)Dienstleister vielfältige Optionen bestehen und lud alle an der Wertschöpfung beteiligten Playern zu Partnerschaften ein.

Über den Can-Bus im Fahrzeug können Fahrzeugdaten direkt ausgelesen und für die Tarifierung genutzt werden. Diese technische Option bietet A.T.U und nutzt FRI:DAY, um seinen Kunden eine fahrabhängige Tarifierung und Bepreisung anzubieten.

Die derzeit 15.000 Kunden bei FRI:DAY werden zudem für ökologisches Verhalten (KM-Leistung) belohnt und sollen zum „Spass am Fahren“ angeregt werden.

Die Can-Bus-Variante ist übrigens bereits die 1. Ausprägung, die nicht kompatibel ist zur GDV-/VDA-Vereinbarung.

Dass Telematik-Tarife im deutschen Markt noch ihre Business Cases suchen wurde von T-Systems thematisiert. Mit einer interessanten Business Case-Simulation wurde unter Einbeziehung signifikanter Einsparungen im Schadenaufwand eine Kompensation der Gerätekosten für eine Telematik-Lösung präsentiert. Versicherer wurden zu einem kostengünstigen Proof-of-Concept eingeladen.

Auch diese Vorträge haben gezeigt, dass Innovationen und Partnering in jungen resp. frühreifen Technologien eine unabdingbare Voraussetzung für die Etablierung im Geschäftsmodell Kfz-Versicherung sind.

Nach unserer Einschätzung sind alle gegenwärtig geläufigen Trends wie autonomes Fahren, Car-Sharing, Usage Based Insurance (UBI), car-on-demand, connected car etc. eher Teile der „natürlichen“ Evolution als denn eine gesamthafte Disruption.

Die Trägheit der Bestände hält an. Versicherer tun gut daran, ihre Bestände auch durch erweiterte Mehrwert-Services rund um die Mobilität zu pflegen. Mit der direkten Kunden-Interaktion über das vernetzte Kfz zeigen sich große Chancen auf.

 

Sachversicherung

Das Spektrum der Vorträge in der Kategorie Sachversicherung war breit aufgezogen:

  1. Können Leitungswasserschäden tatsächlich oder überhaupt vermieden werden?
  2. Können Unternehmensdaten helfen, gewerbliche Risiken in der Industrieversicherung anlog zur Kreditversicherung besser einzuschätzen und gehört es nicht eigentlich in das Underwriting anstatt in das Schadenmanagement?
  3. Sind von allen Schäden an Photovoltaikanlagen nur Anteile auch Schäden im Rahmen der Photovoltaikversicherung?
  4. Braucht es mehr zur Kundenbegeisterung als eine Wetterinformation vom Versicherer?
  5. Ist es mehr als gewagt, eine Prognose auf die Kompositversicherung 2027 zu werfen?

Ich habe die Fragen zu den Vortragsthemen so formuliert, dass alle mit einem Ja beantwortet werden können. Das Ja bedeutet indes nicht, dass ich mich den Botschaften aller Referenten anschließen möchte.

Schadenprävention ist das neue Schadenmanagement in der Sachversicherung! Diesen Gedanken hatten wir u.a. bei einem unserer Smart-Home-Projekte in 2016 bereits gezogen.

Es braucht eine differenzierte Betrachtung auf meine Marktposition, die grundsätzlichen Optionen sowie mein Geschäftsgebiet, mein Kunden-Portfolio und die Einbeziehung meiner Vertriebspartner, um meine strategischen Ziele und Maßnahmen im traditionellen Geschäftsmodell Sachversicherung nachhaltig unterstützen zu können.

In unserem Clever & Smart-Modell haben wir u.a. hypothesenbasierten Checklisten zu den Dimensionen Bestandsmanagement, Governance & Controlling, Prozesseffizienz, Servicequalität, Schadeneffektivität und Anwendungslandschaften mit mehr als 1000 Fragestellungen aufgebaut.

Mit vielen Mandanten haben wir hierauf basierend Potenziale in den Dimensionen identifiziert und zu werthaltigen Umsetzungsprojekten entwickelt.

 

Künstliche Intelligenz (KI)

Ob “emotional, business or artificial intelligence” – Intelligenz will jeder haben und anwenden können.

Grundsätzlich besteht die Chance, Dienstleistungen zu entwickeln, die Daten aus mehreren Quellen zusammenbringen und anreichern, hierin kontinuierlich Merkmale und Strukturen identifizieren und Informationen generieren, die zu einer Bewertung für Schadenrelevanz oder Ablaufsteuerung führen.

Machine und deep learning, supervised und unsupervised learning, Datenvarianz und -volumen, .. – es benötigt noch viel Aufklärungsarbeit, um Anwendungsfälle mit belastbaren Business Case für die Nutzung von künstlicher Intelligenz in eine breite Nutzung zu bringen.

Fraunhofer, arvato, carexpert mit Cognotekt sowie Control€xpert präsentierten teilweise sehr interessante Ansätze, die aufzeigten, welche Chancen in Künstlicher Intelligenz für die Branche bestehen.

Auch hier tut sich die Branche gut daran, sich selbst auf das Niveau der technologischen Kompetenz zu bringen und sich konkrete Anwendungsfälle zu überlegen.

Das Potenzial darf nicht durch ein „überzogenes Hypen“ mit anschliessend selbstverständlicher Enttäuschung ausgebremst werden.

 

Schadenstrategie

Im unserem Vorgehensmodell zur Strategieentwicklung haben wir für die Schaden-Strategie acht wesentliche Handlungsfelder definiert. Diese sind:

  1. die Schadendurchschnittssteuerung im Mengenschaden
  2. die Spezialschadendisziplinen Betrug, Regress und Personenschaden
  3. die Prozesseffizienz zwischen allen Beteiligten
  4. das Service- und Qualitätsmanagement
  5. die Geschäftssteuerung
  6. die Personal- und Organisationsentwicklung
  7. das Dienstleistermanagement sowie
  8. das Vertriebspartnermanagement

Auf den Grundlagen von Unternehmens-, Geschäftsfeld-, Produkt-, Prozess- und Vertriebsstrategie sowie unter Beachtung gesetzlicher und regulatorischer Anforderungen als Rahmenbedingungen, kann die Aktualisierung einer Schaden-Strategie rollierend erfolgen.

Ein Fokus der Vorträge in der Kategorie Schaden-Strategie lag aus aktuellem Anlass auf der im Mai 2018 in Kraft tretenden EU Datenschutzgrundverordnung (DSG-VO) sowie der seit dem 23.2.2018 geltenden Insurance Distribution Directive (IDD). Wichtige Themen, die von Allen bedient werden müssen und kein Versicherungsunternehmen in eine strategische Exklusivität führen.

Die Gothaer referierte zum strategischen Handlungsfeld Dienstleistermanagement, und zeigte auf, welche Herausforderungen in der Steuerung externer Dienstleister entstehen.

Eucon und Dekra stellten gemeinsam vor, wie Kooperationen großer Player das Schadenmanagement der Zukunft prägen werden.

Die Baloise stellte das perfekte Schadenerlebnis mit Baloise EasyClaims vor und die AXA zeigte auf, welche Bedeutung neue Arbeitsmodelle im Zeitalter der Digitalisierung haben können resp. sollten.

Dienstleistermanagement, Personal- und Organisationsentwicklung und Schadendurchschnittssteuerung im Mengenschaden stellten somit einen Ausschnitt aus dem Portfolio strategischer Handlungsfelder dar.

Für hnw consulting und ihre Mandanten ist eine ganzheitliche Betrachtung aller Handlungsfelder von besonderer Bedeutung.

 

Claims Rockstar Award

10 Unternehmen bewarben sich um den Claims Rockstar Award 2018. Einige Bewerber stellten auf Basis künstlicher Intelligenz Lösungen zur Betrugserkennung, zur Unterstützung der Kundenkommunikation oder zur Steigerung der Prozesseffizienz vor. Zudem waren für die Disziplin Prävention zum einem eine intelligente Leitungswassererkennungslösung und zum anderen eine Lösung zum Monitoring von Maschinen und Anlagen für den Award angetreten.

Die Auszeichnung erhielt Shift Technology für ihre Lösung zur Effizienzsteigerung bei der Betrugsidentifikation und der Schadenfallabwicklung.

Den 2. Platz belegte indtact, deren Technologie die Messung von Schwingungen, akustische Emissionen (AE) und Belastungen ermöglicht.

Platz 3 erhielt botconnect mit einer Lösung, die die Zusammenarbeit von Mensch und künstlicher Intelligenz im Unternehmen unterstützen soll.

 

Fazit

Der Messekongress 2018 hat eine weitere Steigerung in der Dynamik des Wandels aufgezeigt:

  • GDV und VDA vereinbaren Regeln für connected car
  • A.T.U. bietet die Mitwirkung in einer unabhängigen Mobilitätsallianz
  • ELEMENT arbeitet an einem BPO-Modell und stellt es dem Markt zur Verfügung
  • DEKRA und T-systems engagieren sich als Investoren bei spearhead
  • Eucon und DEKRA stellen ein Kooperationsmodell vor
  • und weitere noch inoffizielle Zusammenarbeitsmodelle wurden bereits auf dem Kongress in kleineren Kreisen bekanntgegeben und diskutiert
  • Kompetenzen und Kapazitäten für die Begutachtung und Bewertung des Schadens vor Ort werden rarer und suchen nach neuen Modellen
  • die Sehnsucht der Versicherer nach Innovationen mit Hilfe von Dienstleistern steigt an und birgt auch strategische Risiken
  • die Drehmomente an den Schrauben für Servicequalität, Produktivität und Effektivität werden zunehmend ausgereizt
  • Kundeninteraktion und –bindung mit Hilfe digitaler Instrumente stehen noch ganz am Anfang

Jedes Unternehmen tut gut daran, eigene Zielbilder und Anwendungsfälle auf Basis einer aktualisierten Schaden-Strategie zu entwickeln.

Eine enorme Herausforderung wird u.a. darin bestehen, die Mitarbeiter in die anstehende Transformation mit zu nehmen.

Für mich war der Kongress ein voller Erfolg. Interessante Vorträge, gute Atmosphäre (Danke an den Veranstalter und die vielen Aussteller) sowie mehr als 25 werthaltige Gespräche mit Kunden und Interessenten sowie Dienstleistern.

 

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