Bei der Aktualisierung und Neuausrichtung von Schaden-Strategien stehen die strategischen Ziele Effektivität in der Begrenzung des Schadenaufwands und Effizienz der Prozesse zur Senkung der Regulierungskosten wegen ihrer Quantifizierbarkeit und Nutzenbemessung meist stark im Vordergrund. Die Servicequalität als das dritte unter den strategischen Zielen wird meist auch mit benannt, gerät aber bei der Festlegung der konkreten Maßnahmenportfolios für eine Umsetzung meist stark ins Hintertreffen.

Wechselwirkungen der strategischen Ziele – starr oder flexibel?

In den Schadenbereichen der Versicherer hat sich die Einschätzung verfestigt, dass jede Maßnahme, die auf eines der strategischen Ziele wirken soll, einen konkurrierend negativen oder allenfalls neutralen, aber keinen komplementär positiven Einfluss auf die anderen Ziele hat.

Das Grundmuster der Wechselwirkung skizziert sich wie folgt:

  • eine Senkung der Regulierungskosten wirkt sich negativ auf die Bearbeitungs- und Servicequalität und auf die Schadendurchschnitte aus
  • eine stringentere und engere Regulierungspraxis wirkt zwar positiv auf den Schadenaufwand, gefährdet aber die Servicequalität und erfordert meist höhere Regulierungskosten
  • eine lockerere Regulierungspraxis und intensive Serviceorientierung steigert die Regulierungskosten und die Schadendurchschnitte

Die Drehmomente für die strategischen Ziele im richtigen Maße einzustellen erfordert also viel Transparenz, Analytik, Kompetenz und permanente Justierung.

Mit zwei Szenarien aus der Praxis lässt sich der Zusammenhang noch etwas deutlicher machen:

1. Der Versicherer weist heute den Versicherungsnehmer über die AGB auf die grundsätzliche Rückkaufsoption in Kfz-Kasko nach Schadenereignis hin.

Eine individuelle pro-aktive Information im konkreten Schadenfall auf die Rückkaufsmöglichkeit erzeugt eine hohe Wirkung auf die strategischen Ziele:

  • Der Versicherungsnehmer erlebt eine hohe Servicequalität, die ihm eine für ihn ggf. attraktive Option aufzeigt.
  • Der Versicherer erlebt eine positive Wirkung auf die Effektivität, da er ggf. mehr Rückkäufe durch Versicherungsnehmer generiert und Schadenaufwände dadurch senken kann.
  • Der Versicherer erfährt eine negative Wirkung auf die Prozesseffizienz, da ein erhöhter Arbeitsaufwand durch Rückfragen per Schrift und Telefon sowie Umbuchungs- und Folgeprozesse bei Inanspruchnahme des Rückkaufs entsteht.

2. Der Versicherer möchte seine Kfz-Werkstattsteuerungen bei Kraftfahrt-Haftpflichtschäden erhöhen.     

Mit gezielten Schulungsmaßnahmen eigener Mitarbeiter oder mit Unterstützung eines externen Service-Anbieters mit Steuerungsexpertise wird die Vermittlungs- und Reparaturquote gesteigert.

  • Der Anspruchsteller erlebt eine hohe Servicequalität, die ihm eine für ihn ggf. attraktive Option aufzeigt.
  • Der Versicherer erlebt eine positive Wirkung auf die Effektivität, da er ggf. die Schadendurchschnitte in Karosserie, Lack und Stundenverrechnungssätzen senken und Drittkosten Weiterer Beteiligten ausschließen oder fiktive Abrechnungen steigern kann.
  • der Versicherer erfährt aber auch eine negative Wirkung auf die Prozesseffizienz, da die höheren Stückkosten aus Personal- und / oder Dienstleisterkosten gegen die ersparten Schadenaufwände aufsaldiert werden müssen.

Die Beispiele zeigen die konkurrierenden Wirkungen, allerdings existieren tatsächlich auch Maßnahmen, die zu einer positiven Wirkung auf alle drei strategischen Ziele führen!

„Geringe“ Schadenhäufigkeit darf die Notwendigkeit für Servicequalität nicht reduzieren

Oft werden für die Servicequalität der Versicherer Vergleiche zu anderen Branchen z.B. zu Amazon herangezogen.

3.350 Mio. versendete Pakete gab es in Deutschland 2017 – aufgeteilt auf ca. 10 verschiedene Versanddienstleister (1). Die Anzahl an Versicherungsfällen 2016 in Deutschland in Unfall/Schaden betrug 67 Mio., aufgeteilt auf ca. 200 Schaden/Unfall-Versicherer (2,3).

Grundsätzlich ist ein Vergleich ein richtiger Gedanke, allerdings erlebt der Privatkunde statistisch nur ca. alle zehn Jahre einen Schaden.

Gleichwohl rückt die Servicequalität bei den Kunden immer mehr auch vor dem Hintergrund der Serviceerfahrungen mit anderen Branchen in den Fokus. 

Parameter und Ziele der Servicequalität müssen in den Fokus gestellt werden

Im konkreten Schadenfall muss der Kunde den guten Service z.B. im Sinne der Parameter Regulierungsdauer, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Erreichbarkeit, Kommunikation und Information erleben können.

Zu beobachten ist, dass sich der Parameter Regulierungsdauer teilweise stark ausgeweitet hat.

Die Gründe dafür sind vielfältig, je Versicherer unterschiedlich und bestehen u.a. aus:

  • vermehrtem Einsatz von Sachverständigen, Gutachtern, Prüfdienstleistern etc.,
  • der Reduktion der Schadenmannschaft mit hoher Fachqualifikation durch Personalabbau und natürliche Fluktuation,
  • 1st Level-Bearbeitungsstufen mit fehlender fachlicher, technischer oder kapazitativer Ausstattung,
  • fachspezifischer, für den Kunden unverständlicher Kommunikation zu Geschäftsvorfällen mit nachfolgenden Rückfragen oder
  • der Kommunikationskanal der Kunden wird vom Versicherer nicht beachtet, d.h. Oszillation der Kommunikation (Kunde schreibt Mail – Rückfrage per Brief durch Versicherer – Antwort per Mail durch Kunden – …).

Hier sollten Versicherer darauf achten insbesondere die Parameter der Servicequalität in der Wirkung auf Kunden, Anspruchsteller, Dritte sowie Geschäftspartnern differenzierter zu gestalten.

Die strategische Bedeutung der Servicequalität darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Sie sollte in jedem Unternehmen fest verankert sein und auch in ihrem Erfolg gemessen werden. Dies kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Relevant ist meines Erachtens allerdings das nachhaltige Messen der Einhaltung der Servicequalität.

Auch hier haben wir mehrere Möglichkeiten.

  • Ein Instrument ist die regelmäßige Kundenbefragung (möglichst in Echtzeit). Der Vorteil einer Echtzeit-Kundenbefragung liegt in der Chance, die Wirksamkeit von Maßnahmen auf die Servicequalität direkt in der Kundenreaktion ablesen zu können. Als Nachteil steht dem die kontinuierliche Kostenerhöhung gegenüber.
  • Gleiches gilt für Befragungen bei Vertriebspartnern.
  • Einfacher ist es, das Thema Servicequalität mit eigenen Kennzahlen zu versehen, diese bei den Führungskräften in die Zielvereinbarungen zu integrieren und laufend den aktuellen Stand zu kommunizieren.

Die Servicequalität ist dafür im permanenten Controlling-Kreislauf im Unternehmen zu verankern:

  1. Festlegung von Servicezielen – Definition der Ziele und Kennzahlen je Kategorie.
  2. Prüfung der Zielkonformität – Ziele der Servicequalität auf Wechselwirkung zu Effizienz und Effektivität prüfen.
  3. Aktualisierung der Servicekultur – Etablierung der Serviceziele in der Organisation.
  4. Verzielung – Vereinbarung von Servicequalitätszielen in relevanten Organisationsbereichen.
  5. Messung – Interne und externe Messung der Ziele zur Servicequalität
  6. Validierung und Justierung – Bewertung der Messergebnisse und Erarbeitung von Maßnahmen.

Serviceziele können sein:

  • Prozess-Qualität (Regulierungsgeschwindigkeit, Erreichbarkeit, …)
  • Kommunikationskanal (Quote Einhaltung Eingangskanal = Ausgangskanal, Outbound-Telefonate, …)
  • Bearbeitungsstufen (Abgabequoten intern, Sofortregulierungen, …)
  • Kommunikationsstil (Kündigungsquoten, Beschwerdequoten, …)
  • Datenqualität (Anzahl Briefe je Schaden und weitere)

Diese Auswahl ist beispielhaft zu sehen und individuell und in Abhängigkeit zum Geschäftsmodell aufzustellen.

Wie für die Ziele Effizienz und Effektivität sollten auch für die Servicequalität strategische Leitlinien spartenübergreifend und je Sparte aufgestellt werden. 

Stehen die strategischen Ziele wirklich immer in Konkurrenz zueinander?

Oben habe ich ausgeführt, dass bei der Umsetzung von Maßnahmen immer ein strategisches Ziel nachteilig berührt wird. Dieses war in vielen Projekten über die Jahre neben der Bestätigung der Wechselwirkungen auch immer wieder unsere Erkenntnis.

Mittlerweile können wir dem aus Praxiserfahrung widersprechen, sofern der Geschäftsmodell-Rahmen flexibler gestaltet wird.

Wie wir heute wissen, ist es möglich, dass teilweise alle drei strategischen Ziele positiv beeinflusst werden können.

Gerne stehen wir hier bei Interesse für eine Diskussion zu den Chancen des jeweiligen Geschäftsmodells zur Verfügung.

Fazit

Die Servicequalität eines Versicherers darf niemals zugunsten von Effektivität oder Effizienz in den Hintergrund treten.

Die Weiterentwicklung der Servicequalität ist durch Automatisierung und Digitalisierung aktueller denn je herausgefordert und mit viel Sensibilität zu betrachten.

Ein Verfehlen der Servicequalität über einen längeren Zeitraum verträgt auch ein so stabiles Geschäftsmodell wie die Kompositversicherung nicht auf Dauer.

(1) Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154829/umfrage/sendungsmenge-von-paket-und-kurierdiensten-in-deutschland/

(2) Quelle: https://www.gdv.de/de/zahlen-und-fakten/versicherungsbereiche/ueberblick-24074

(3) Quelle: https://www.gdv.de/de/zahlen-und-fakten/versicherungsbereiche/versicherer-24108

Bild-Quelle: Mike Wilson on unsplash