Unser Co-Autor heute: Andrea Rothe – Senior Managerin
Wie in unserem ersten Teil zum Thema ausgeführt steht die Versicherungswirtschaft vor einem vielfältigen Kulturwandel, der auch für die Linienfunktion „Personal“ herausragende Anforderungen generiert.
Schauen wir auf die Herausforderungen für den Personalbereich, insbesondere die Personalentwicklung.
Die Bedeutung der Personalentwicklung steigt
Führungskräfte müssen mehr denn je die Führung als Haltung verstehen und zudem ihre Rolle als Coach ihrer Mitarbeiter leben. Niedrige Hierarchien erfordern multidisziplinäres Arbeiten und eine Hands-on-Mentalität.
Für alle Ebenen ändern sich nicht nur die Rollen, sondern auch die erforderlichen Kompetenzen, und es kommen neue hinzu. Es wird neue Aufgaben geben, die wir heute noch gar nicht kennen.
Für alle gilt, sich an agile Arbeits- und Projektmethoden zu gewöhnen, in Sprints zu arbeiten und kurzfristige Ziele zu erreichen anstatt von A bis Z durchzuplanen und umzusetzen.
Personalentwickler als interner Dienstleister mit Kundenbrille
Während Personalentwicklung bisher überwiegend mit Seminaren und Programmen zur Führungskräfteentwicklung sowie statischen Planungen wie „2 Seminartage pro Mitarbeiter und Jahr“ verbunden war, ändern sich auch hier die Anforderungen:
• Die Bildung und das Angebot neuer Entwicklungspfade in flacheren Hierarchien mit neuen Aufgaben
• Entwicklung neuer Denkweisen wie beispielsweise die Betrachtung des Geschäfts durch die Kundenbrille
• Förderung der Kompetenz zur Selbststeuerung und zum autonomen Wissenserwerb : zielgerichtete Weiterbildung und lebenslanges Lernen aus der Erkenntnis der Notwendigkeit und dem Eigeninteresse heraus
• Erweiterung der Methodenvielfalt
• Der Fortfall einfacher Aufgaben durch Automatisierung und die Fluktuation der Babyboomer erfordert gezieltes Wissensmanagement
• Entwicklung des Personalbereichs vom internen Kümmerer zum Dienstleister für Unternehmensbedürfnisse
• Die Positionierung als Arbeitgeber am Arbeitsmarkt in einer für viele Kandidaten auf den ersten Blick nicht spannenden Branche erfordert Ideen, Kreativität und ein Bündel an für den Arbeitnehmer attraktiven Angeboten (echte familienfreundliche, flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle)
• Den Blick erweitern auf andere Branchen: Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit Quereinsteigern, die interessiert neue Impulse mitbringen
Einen Extra-Absatz hat nach unserer Ansicht die alternde Gesellschaft verdient: Ältere Mitarbeiter wird es in Zukunft auch geben, auch wenn durch die Automatisierung und die Fluktuation der Babyboomer insgesamt weniger benötigt werden. Es ist an der Zeit, den in unserer Kultur verbreiteten Schrecken vor Alter und gar alten Mitarbeitern zu verlieren, denn: Wer mit Ü50 nicht performt, war auch in jungen Jahren kein Leistungsträger. Die Kunst, am Ball zu bleiben, ist sowohl eine Aufgabe für die Personalentwicklung als auch für den Mitarbeiter selbst. Lebenslanges Lernen ist das Erfolgsrezept.
Erlauben Sie uns noch eine Anmerkung zu einer für viele unter uns besonderen Gruppe, den Autisten. Einige Unternehmen haben sie bereits wegen ihrer individuellen und oft herausragenden Fähigkeiten in ihrer Belegschaft.
0,8% der Bevölkerung in Deutschland machen sie aus, in Indien sind es bereits 2%. Viele dieser Menschen bringen außergewöhnliche Fähigkeiten mit, die im Zeitalter der Digitalisierung Aufgaben mit Leichtigkeit erfüllen, für die andere viel länger brauchen oder sie gar nicht können.
Wir denken, dass wir gut daran tun, zu lernen, mit diesen Menschen umzugehen, um diese Menschen und Talente in Unternehmen zu integrieren. Vielleicht sind sie der Beginn einer evolutionären Weiterentwicklung, die wir nur (noch) nicht verstehen?
Für das Change Management bringen diese absehbaren Entwicklungen ebenfalls neue Herausforderungen mit sich
Die Veränderungszyklen werden kürzer, neue Technologien und Prozesse werden schneller ein- und umgesetzt. Zeit für Konsolidierung bleibt wenig oder gar nicht; ebenso wenig für eine Gewöhnung des Menschen an das Neue.
Umso wichtiger ist es daher, die Veränderungsprozesse langfristig und strukturiert zu begleiten, um ein Unternehmen erfolgreich und leistungsstark weiterzuentwickeln.
Das neue Ist ist der dauerhafte Change
Wir denken, dass die bekannten Change-Modelle, die stets auf einen neuen, zumindest mittelfristig währenden Ist-Zustand abzielen, neu interpretiert werden müssen.
Die gute Nachricht dazu ist, dass der Mensch lernfähig ist und sich an neue Bedingungen anpassen kann. Zudem ist die Veränderungsbereitschaft von Menschen (Mitarbeitern) viel größer als angenommen. Sie muss nur aktiviert werden.
Eine Kultur- und Werteveränderung braucht wie jeder Change Prozess eine Struktur, echte Offenheit, Mut, einen gelassenen Umgang mit Widerständen, Hindernissen und Fehlern, um eine motivierende Innovationskultur zu fördern.
In zahlreichen Gesprächen mit Führungskräften und Mitarbeitern in Change Prozessen hörten wir Aussagen wie „Aber was ist, wenn ich Fehler mache…“. Das Thema Fehler ist ein Besonderes in Deutschland; man bewertet sie schwer. Mehr Mut stünde uns hier gut zu Gesicht, um das volle Potenzial an Ideen, Kreativität und des Ausprobierens auszuschöpfen.
Die aktive Gestaltung und Begleitung der Veränderungen wird die wichtigste Schlüsselkompetenz der Zukunft sein, um als Unternehmen am schnelllebigen Markt zu bestehen.
Ein ernst gemeintes und gelebtes Change Management wird zum Dauerbrenner
In der Vergangenheit wurde Change Management eher belächelt und halbherzig betrieben, indem einzelne Elemente wie Seminare, Workshops oder Coachings durchgeführt wurden. Derzeit wächst die Erkenntnis, dass Change Management die Transformation positiv beeinflusst, beschleunigt und Kosten spart. Der Faktor Emotion wiegt bei Veränderungsprozessen schwer und benötigt daher solides Handwerkszeug, Aufmerksamkeit und professionelle und strukturierte Begleitung.
Wir haben Unternehmen erlebt, in denen bei einer tiefgreifenden Strukturänderung, die alle Mitarbeiter betraf, kein Change Management eingesetzt wurde. Die Folgen sind nach vielen Jahren heute noch spürbar: Es fehlt an einer positiven Kultur, an Identifikation mit dem Unternehmen und Akzeptanz des Neuen. Diese Folgen kosten Geld. Wenn Mitarbeiter sich mit Schuldzuweisungen, Misstrauen und Angst vor Fehlern beschäftigen, leiden darunter zudem Betriebsklima, Produktivität und die Kunden.
Nicht nur für spätere Generationen wird der Umgang mit Veränderungen Normalität sein. Change ist lernbar und bereits jetzt gefragt.